Unser Kind kam 2012 als Wunschkind auf die Welt, wir waren sehr glücklich. Das erste halbe Jahr ging vorbei, es war anstrengend, aber er war ein lustiges und zufriedenes Kind, leicht zu beruhigen. Er trank gut, stillte oft und war zufrieden. Schlafen ging nicht so gut, aber das kannten wir auch von anderen Eltern, wir machten uns noch keinen Kopf. Ein für uns einfaches Kind.
Als er ein halben Jahr wurde, merkten wir, dass er nicht in der Entwicklung mitkam wie die anderen Babys, die wir von Krabbelgruppen kannten. Wir wussten, dass sich Babys unterschiedlich entwickeln und so gaben wir ihm Zeit. Mit einem Jahr konnte er noch nicht sitzen, krabbeln und war auch sonst motorisch auffällig.
Mit einem Jahr bekam er also Physio veschrieben und mit 1,5 Jahren fing er an zu krabbeln. Er ist unser erstes Kind und wir nahmen den Abstand in der Entwicklung zu anderen Kindern noch nicht so ernst. Mit knapp zwei Jahren wurde eine Entwicklungsdiagnostik mit MRT verordnet. Dabei wurde auch der Hals-Nasen-Ohren-Bereich untersucht, er schnarchte oft und hatte Atemaussetzer in der Nacht. Er wurde an den Mandeln und Polypen operiert und es wurden Paukenröhrchen gesetzt. Damit hörte er auf einmal sehr viel besser und das Schnarchen hörte auf. Das MRT war außer einer kleinen Zyste unauffällig.
Einen Tag vor seinem zweiten Geburtstag machte er die ersten Schritte alleine. Ich nehme an, durch die freien Ohren hatte er ein besseres Gleichgewicht. Wir kauften ihm die ersten Schuhe und waren ganz stolz.
Weiterhin wurden wir im zweiten Jahr in ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) überwiesen, und er musste die ersten Tests absolvieren. Er schaffte sie nicht, war aber hoch motiviert. Die Experten dort empfahlen Frühförderung und so bekam er mit 18 Monaten zweimal in der Woche Förderung in der Krippe und bei uns zu Hause. Dann folgten im integrativen Kindergarten Physiotherapie, später Ergotherapie, mit ca. 4 Jahren Logopädie. Er entwickelte sich ständig weiter, aber der Abstand zu Gleichaltrigen blieb oder wurde in manchen Bereichen größer.
Mit 5 Jahren wurde bei einem Routine-EEG eine Rolando-Epilepsie festgestellt. Das ist eine Epilepsie, die in der Nacht, im Schlaf stattfindet. Die Kinder sind dann eher desorientiert und das Gesicht tut weh. Ich habe nur zweimal Blut auf dem Kopfkissen am Morgen entdeckt, woraus man schließen könnte, dass er Anfälle gehabt haben könnte. Er konnte uns dazu nichts sagen. Er nahm ca. 18 Monate das Medikament Ospolot und nach mehreren Schlafentzug-EEGs war von der Epilepsie nichts mehr zu sehen. Wieder was geschafft.
Zwischen 4 und 5 Jahren wurde eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt, er musste eine Zeit lang L-Tyroxin nehmen. Das hat sich ausgewachsen.
Als die Kindergartenzeit zu Ende ging, mussten wir uns für eine Schule entscheiden. Eine normale Schule kam nicht in Frage, es stand die Förderschule im Raum. Da wir aber vor Ort eine sehr gute integrative freie Schule haben, meldeten wir unser Kind dort an, auch der Kindergarten setzte sich für einen Platz dort ein. Es sind altersübergreifende Gruppen und weitere Kinder mit Beeinträchtigung dort. Alle Kinder lernen damit umzugehen, dass manche Dinge besser können als andere, alle werden so akzeptiert wie sind sind. Momentan hat diese Schule nur 4 Klassenstufen, eine weiterführende Schule ist in Planung. Er ist sehr zufrieden dort.
Mit 6 Jahren bekam er eine Kinder-Reha genehmigt und wir fuhren 4 Wochen nach Murnau. Die Therapien dort waren nicht auf Kinder wie ihn abgestimmt, also nicht auf Kinder mit geistiger Behinderung, eher auf geistig normal entwickelte Kinder mit ADHS oder ADS oder auch Autismus. Aber eben Kinder mit normaler Auffassungsgabe. Aber das neue Umfeld und die Landschaft taten ihm sehr gut und motorisch hat sich viel verbessert.
Zur Kur hörten wir von Ritalin und ähnlichen Medikamenten. Wir wollten das ausprobieren und bekamen über das SPZ Medikinet verschrieben. Damit hatte er keinen Appetit mehr und verlor Gewicht, daher setzten wir es wieder ab. Dann probierten wir Strattera. Das hat dazu geführt, dass er in der Schule viel aufmerksamer ist und seine Aufgaben besser und eigenständig erledigen kann. Mit der Dosierung muss man aufpassen, es kann auch Ängste auslösen. Lieber etwas weniger geben.
Ein großes Problem für ihn war das Schlafen bis ca. 6 Jahre. Als Baby und Kleinkind wurde er jede Nacht mehrmals wach, brauchte immer Begleitung beim Einschlafen, wir bauten ihm ein großes Bett und einer von uns schlief immer bei ihm. Nach der Kur schlief er allein ein und auch durch. Nach 6 Jahren konnten wir wieder durchschlafen. Nach einem Umzug wollte er wieder, dass jemand bei ihm im Zimmer schläft, weil er sonst Angst hat. So schläft Papa in seinem Zimmer auf der Matratze und er ist nicht mehr ängstlich. Er wacht jetzt zwischen 4:30 und 5:30 Uhr auf. Er schaut sich Bücher an und hört auf der Tonibox Hörspiele oder Musik. Wir dürfen weiterschlafen. Und irgendwann wird er auch soweit sein, allein in seinem Zimmer zu schlafen.
Seine größten Eigenheiten sind Muskelhypothonie (er ist schnell müde), überstreckbare Gelenke, Intelligenzminderung, Sprachentwicklungsstörung, keine eigenen Spielideen, kann aber gesehene Geschichten und Filme nachspielen. Seine autistischen Züge sind eine große Herausforderung. Er muss immer saubere und trockene Hosen an haben. Wenn sie etwas nass wird oder schmutzig, muss sie sofort gewechselt werden. Und enge Bezugspersonen müssen immer bei ihm sein, sonst wird er ängstlich, kann nicht allein sein. Er orientiert sich sehr an uns Eltern. Wenn ein Thema in seinem Kopf rumgeistert, wird es immer und immer wieder besprochen. Das kann sehr anstrengend sein.
Seine Stärken liegen in seiner freundlichen Art, sein herzliches Lachen, seine Anhänglichkeit, er ist ein geliebter großer Bruder und macht uns und seine Großeltern glücklich und kann richtig pfiffig sein. Er fährt in Begleitung mit dem Fahrrad zur Schule, hat Adleraugen, sieht alles, kann sich gut orientieren. Er hat sich einen großen Wortschatz angeeignet, verwechselt immer die Gegensätze, meint das eine, sagt das andere. Das ist meist verwirrend für Außenstehende, kann aber sehr lustig sein.
Eine Überweisung zur Humangenetik brachte uns 2018 im November endlich die Diagnose: ADNP-Syndrom. Nach über sechs Jahren haben wir endlich eine Begründung für alle Schwierigkeiten erhalten und wissen nun, dass wir nichts falsch gemacht haben bei der Erziehung unseres Kindes.
Das Leben mit ihm ist anstrengend, aber auch lustig und bereichernd.